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Früherkennung von Krisen in der Berufsausbildung - Schwache Signale erkennen

von Nader Djafari

Jeder, der eine Ausbildung gemacht hat, weiß es: Die Lebensphase während einer Berufsausbildung ist eine komplizierte Zeit. Die Umstellung von den Gewohnheiten in der Schule auf die des Arbeitslebens, die Adoleszenz mit allen Wirrungen und Irrungen, die Ablösung vom Elternhaus, das andere Geschlecht. Es gibt viele neue Herausforderungen für einen Auszubildenden während der Lehrzeit. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass während einer Berufsausbildung manche kleinen und großen Krisen auftreten können. Die meisten Jugendlichen schaffen es, ihre Schwierigkeiten selbst zu lösen oder sich entsprechende Hilfen zu holen. Aber für eine ernst zu nehmende Zahl von Auszubildenden können sich die Probleme und Spannungen so sehr aufschaukeln, dass sie die Ausbildung abbrechen oder vom Arbeitgeber gekündigt werden.

Die Hessische Landesregierung hat sich im Rahmen ihres Konzepts zur Fachkräftesicherung das Ziel gesetzt, die Quote der Ausbildungsabbrecher zu reduzieren.[1] In diesem Zusammenhang ist das Programm QuABB[2] entstanden, in dem an 15 Standorten in Hessen Auszubildende beraten und unterstützt werden, so dass sie ihre Ausbildung trotz Schwierigkeiten nicht abbrechen, sondern erfolgreich abschließen.

Die Ausbildungsbegleiterinnen und Ausbildungsbegleiter von QuABB haben von März 2009 bis zum Sommer 2014 über 5.000 Auszubildende beraten und unterstützt. Die Erfahrungen aus dieser Arbeit zeigen, dass ein Ausbildungsabbruch selten plötzlich, „aus heiterem Himmel“ geschieht. Meistens bahnt sich die unheilvolle Entwicklung lange vorher an. Wenn die krisenhafte Entwicklung frühzeitig erkannt wird, besteht die Chance, mit weniger Aufwand die Schwierigkeiten abzuwenden.

Gibt es für Ausbilder eine Faustformel zur Früherkennung? Ja. Auf die schwachen Signale achten und darauf eingehen!

Wenn Probleme eskalieren, wird der Jugendliche die Ausbildung entweder selbst abbrechen oder ihm wird wegen erheblicher Leistungsschwächen, Motivationsmangel oder wegen nicht akzeptablen Verhaltens gekündigt. Aber lange vorher muss schon einiges passiert sein, was vielleicht zum Teil sichtbar war, aber keine Beachtung fand: die schwachen Signale. Werden diese kleinen Ereignisse nicht registriert und bearbeitet, dann wachsen die Schwierigkeiten, es kommen Folgewirkungen hinzu, und in einem späten Stadium kann sich der Auszubildende in einem verwirrenden Knäuel von Problemen verfangen haben.

Je früher diese schwachen Signale erkannt werden und je unmittelbarer und konsequenter der Ausbilder oder die Ausbilderin darauf reagiert und Gegenmaßnahmen einleitet, desto eher besteht die Chance, den Ausbildungsverlauf zu stabilisieren und den Jugendlichen wieder in geordnete Bahnen zu bringen.

Das QuABB-Team hat mit den Kooperationspartnerinnen und -partnern aus den Handwerkskammern, aus den Industrie- und Handelskammern, aus den Berufsschulen und aus vielen Betrieben die Themen „Früherkennung“ und „schwache Signale“ diskutiert und eine Zusammenstellung in dem „Werkzeugkoffer Frühwarnsystem“[3] veröffentlicht.

Demnach sind folgende schwache Signale zu beachten:

  • auffällige und plötzliche Verhaltensänderungen,
  • wiederholter Streit zwischen den Auszubildenden oder mit Vorgesetzten,
  • merklich verändertes Kommunikationsverhalten,
  • wenig Kommunikationsbereitschaft,
  • Desinteresse an der Arbeitsaufgabe oder generelle Lustlosigkeit,
  • geringe Frustrationstoleranz,
  • gravierende Schwierigkeiten im sozialen Umfeld des Jugendlichen, z. B. Veränderungen der Wohnsituation, Krankheiten in der Familie, Stress mit Freundin oder Freund etc.,
  • häufige Unpünktlichkeit in der Berufsschule oder im Betrieb,
  • unentschuldigtes Fehlen in der Berufsschule oder im Betrieb,
  • häufige Krankmeldungen, auffallende Müdigkeit,
  • schwache Leistungen oder Fehlzeiten in der Berufsschule,
  • mangelhafte Leistungen bei der praktischen Arbeit im Betrieb.

Nicht jedes dieser Ereignisse führt automatisch zu einer verschärften Krise. Trotzdem ist es empfehlenswert, dass Ausbilderinnen und Ausbilder auf die genannten Punkte achten und versuchen, das Problem hinter dem jeweiligen Erscheinungsbild zu verstehen. Dabei ist behutsames Vorgehen erforderlich. Oft wissen die Jugendlichen selbst nicht so genau, was los ist. In diesen Situationen brauchen sie den Erwachsenen, die Führungskraft, um sich die Lage zu vergegenwärtigen. Manche Jugendlichen haben ihre Fähigkeit zur Selbstwahrnehmung noch nicht ausreichend entwickelt. Deshalb brauchen sie die Rückmeldung durch die Ausbildenden (siehe dazu auch den Beitrag zum Thema Feedback in dieser Publikation). Wenn das Gespräch zwischen dem Auszubildenden und dem Ausbilder gelingt und ein gemeinsames Verständnis der Lage hergestellt werden kann, dann können entsprechende Aktivitäten geplant werden, die eine Problemlösung einleiten.

Früherkennung und zeitnahe Aktivitäten zur Lösung aufkeimender Probleme sind effizienter, als wenn man abwartet und erst reagiert, „wenn der Karren festgefahren ist“. Je mehr es gelingt, in den Prozessroutinen des Ausbildungsalltags die präventiven Vorgehensweisen regelmäßig anzuwenden und zu verankern, desto mehr wird man kräfteschonend die Krisen bewältigen können. Für Ausbilderinnen und Ausbilder, die Freude an ihrem Beruf haben und gerne mit den Jugendlichen arbeiten, gibt es kein schöneres Geschenk, als erfolgreiche und dankbare Absolventen der Berufsausbildung.  

[1] https://wirtschaft.hessen.de/wirtschaft/qualifizierung/fachkraeftesicherung .„Gesamtkonzept Fachkräftesicherung Hessen“, Seite 12

[2] „Qualifizierte berufspädagogische Ausbildungsbegleitung in Berufsschule und Betrieb“ (QuABB). www.quabb.inbas.com/

[3] http://www.quabb.inbas.com/werkzeuge/index.html