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Der Pubertist[1] - Aufzucht und Pflege

von Mario Kurätzki, Ausbildungsbegleiter

"Pubertät ist, wenn die Eltern schwierig werden" - Isländisches Sprichwort

Viele Konflikte in der Welt der Ausbildung sind dem Umstand geschuldet, dass ein Konfliktpartner sich in einer Entwicklung befindet, zu deren ordnungsgemäßem Abschluss Konflikte geradezu notwendig sind. Die Rede ist von pubertären oder adoleszenten Entwicklungen, die in ihren Ausprägungen mehr oder weniger Konfliktpotenzial bergen. Grund genug, sich die "Pubertisten" einmal genauer anzusehen und Handlungsanleitungen aus den Beobachtungen zu gewinnen. Die körperliche Entwicklung soll dabei ausnahmslos keine Rolle spielen, der Verfasser verweist hier auf einschlägige Sekundärliteratur. Für das Gelingen der Ausbildung ist vor allem die psychosoziale Entwicklung des Auszubildenden von Bedeutung. Dazu betrachten wir die gängigen Verhaltensmuster adoleszenter Auszubildender, ergründen ihren Zweck und beleuchten in einem weiteren Schritt Erfolg versprechende Verhaltensweisen seitens der Ausbildenden.

Aufgrund der individuellen Entwicklung einer Person ist eine genaue Bestimmung des Endes der Adoleszenz nicht möglich. Alle Definitionen stimmen aber darin überein, dass sie mit der körperlichen und psychosozialen Reifung abgeschlossen ist. Definitionen, die eine lange Reifung beschreiben, gehen vom 24. Lebensjahr als Ende der Adoleszenz aus. Wenn man eine solche Definition vertritt, dann kann man die Phase der Berufsausbildung nicht unabhängig von ihr betrachten, haben die meisten Jugendlichen ihre Ausbildung doch bereits beendet, bevor ihre Adoleszenz zu einem Abschluss kommt.

Adoleszenz als normaler Wahnsinn

Mit Beginn der Pubertät löst sich das Kind mehr und mehr von den Eltern und verschiebt seine Beziehungsebene auf Gleichaltrige. Hintergrund dafür ist die Hinwendung des Pubertisten zu einer selbstständigen Lebensweise. Die Lockerung der Beziehung zu den Eltern geht oftmals mit sinnlosen Streitereien einher, die allein des Streitens wegen stattfinden und ratlose Eltern zurücklassen. Der Pubertist lernt also eher das Streiten, das Sich-Behaupten, als dass es ihm darum geht, Recht zu haben. Als Wanderer zwischen den Welten (der Welt des Kindes und der Welt des zukünftigen Erwachsenen) ist er oftmals unsicher, wankelmütig und schwankend im Selbstwertgefühl. Er möchte alles können, seine Grenzen testen, und er kann sich nicht eingestehen, dass er nicht alles zu leisten vermag, was er leisten will. Eltern übernehmen in dieser Phase die pädagogisch sinnvolle Aufgabe, die Entwicklung zu fördern, indem sie den Kindern Reibungsflächen bieten oder ihre Ansprüche an die Adoleszenten korrigieren, wobei das Ziel, reif, verantwortungsvoll und erwachsen zu werden, im Vordergrund steht. In gleichem Maß gilt dieser Anspruch für die Ausbildenden, die ja auch einen pädagogischen Auftrag haben.

Konstruktive Methoden vs. "Gardinenpredigt"

Wie geht man also um mit aufsässigen, rebellischen, zuweilen phlegmatischen Jugendlichen, die den Erwachsenen keinen oder nur wenig Respekt entgegenbringen? Wie kann man Adoleszente zu Leistungen animieren, wenn Leistung in dieser Phase "uncool" ist und man mit Leistungsverweigerung so schön protestieren kann? Die Antwort lautet: mit sehr viel Nachsicht, Wissen und einer Kommunikationskultur, die den Anforderungen der Adoleszenz und der Ausbildung gleichermaßen nachkommt. Manchmal ist die Erinnerung an die eigene "Sturm-und-Drang"-Phase hilfreich. Wer sich daran erinnert, dass er sich selbst einmal als allmächtig und unsterblich empfunden hat und bereit war, die Welt umzukrempeln, der wird es nicht persönlich nehmen, wenn Pubertisten unbeholfen ihre Grenzen austesten wollen. Der wird nicht predigen und schlechtmachen, der wird Grenzen aufzeigen, wo Grenzen hingehören, der wird "Kanten" zum Schleifen anbieten, der wird die Person des Adoleszenten anerkennen und Rückmeldungen geben, die hilfreich sind. Ich-Botschaften ("Ich finde nicht gut, dass ...", "ich bin enttäuscht, dass ...") können dabei nützlicher sein als Man-Behauptungen ("Man macht das nicht ..."). Jugendliche haben einen sechsten Sinn dafür, wer authentisch ist und ihnen Respekt entgegenbringt. Wer Adoleszenten als Personen wirklich achtet (und es nicht nur behauptet), der darf dann auch kritisieren und wird zuweilen gar gehört. Der Prediger hingegen wird nicht ernst genommen. Wer beschuldigt, angreift, verurteilt, droht, warnt, beschimpft, lächerlich macht, kann sicher sein, dass der Jugendliche sofort abblockt. Wer erst einmal zuhört, nachfragt, ehrliches Interesse zeigt, keine vorgefertigten Lösungen parat hält und Zeit und Nerven hat, einen wichtigen Prozess zu begleiten, der hat große Chancen, die Adoleszenz seiner Schützlinge zu einem guten Abschluss zu bringen.

Fazit

Pubertierende verhalten sich so, wie sie sich verhalten, weil die Natur das so eingerichtet und für sinnvoll befunden hat. Wenn man diese Behauptung als Arbeitshypothese stehen lassen kann, dann ist schon viel gewonnen. Wer weiß, dass Schwierig-Sein Teil der Persönlichkeitsentwicklung ist, der darf damit rechnen, dass bei erfolgreichem Abschluss der Adoleszenz ein verantwortungsvoller Erwachsener heranreift wie ein bunter Schmetterling, der aus einer grauen Raupe schlüpft. Und wer diese Entwicklung begünstigen will, der interessiert sich für die Raupe und ist auch in der Lage, die eine oder andere bittere Pille zu schlucken, ohne sich abzuwenden oder die Beziehung durch andere destruktive Verhaltensweisen zu zerstören. Zeigen Sie Präsenz, geben Sie klare Anweisungen, schaffen Sie Möglichkeiten, dass die Pubertisten Grenzen überschreiten und bei Misserfolgen Korrekturen durchführen können, und Sie haben eine Menge geschafft.

Gut zu wissen:

  • Die Jugendlichen suchen Sicherheit. Sie können sich dann gut entwickeln, wenn sie ihre Erfahrungen in einer stabilen Umgebung machen können, in der die Anforderungen klar definiert sind und der Kommunikation das nötige Gewicht beigemessen wird.
  • Die Jugendlichen suchen ihre eigene Identität. Sie orientieren sich an verschiedenen Vorbildern: an Kolleginnen und Kollegen, Stars, Lehrer/inne/n und anderen Erwachsenen. Die Berufsbildner/innen spielen eine wichtige Rolle in dieser Zeit der Identifikationssuche.
  • Das abweisende Verhalten der Jugendlichen richtet sich meist mehr an das neue eigene Wesen, das sie selber noch nicht verstehen, als an ihr Gegenüber.
  • Die Jugendlichen sind zukünftige Erwachsene. Im Zusammenleben mit den Erwachsenen modellieren sie ihre Persönlichkeit. Übertreibungen aller Art sind oft lediglich fehlgeschlagene Versuche auf der Suche nach dem eigenen Ich und der Selbstständigkeit.
  • Konkrete Beispiele haben einen konstruktiven Wert. Ratschläge dagegen werden kaum je verstanden und oft noch weniger befolgt.
  • Kinder und Jugendliche haben die Tendenz, sich dem Bild anzupassen, das wir von ihnen haben. Deshalb ist es kontraproduktiv, einen Jugendlichen als faul, schwatzhaft oder dumm zu bezeichnen.
  • Auch wenn Jugendliche sich uns nicht anvertrauen, ist es wichtig, sie spüren zu lassen, dass jemand da ist, der zuhören würde.
  • Je mehr der Berufsbildner oder die Berufsbildnerin sich selber sicher ist und sich wohl fühlt, desto höher sind die Chancen für die Jugendlichen, sich gut zu entwickeln.

Quelle:

SDBB Schweizerisches Dienstleistungszentrum Berufsbildung, Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung (2006): Handbuch betriebliche Grundbildung. Bern, S. 34 [1] Nach Schümann, Helmut (2005): Der Pubertist. Überlebenshandbuch für Eltern. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.